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Um 1890 brechen in Berlin-Steglitz Schülergruppen um den Studenten Herrmann Hoffmann zu Wanderfahrten auf. Die Idee des einfachen, naturverbundenen und selbst bestimmten Unterwegsseins findet in der Enge des kaiserlichen Deutschland rasch Verbreitung, und der Wandervogel entsteht. Auf ihren Zügen "Aus grauer Städte Mauern" suchen die ersten Wandervögel die Einsamkeit der Wälder – und bevorzugen als Treffpunkte fernab der Zivilisation alte, geschichtsträchtige Ruinen. Schon früh entdecken sie so den Ludwigstein.
Älteste Erzählungen nennen die Jahre 1905 und 1906, als erste Gruppen den Weg hinauf zu der seit Jahren verfallenden Burg finden. Leicht ist der Einstieg nicht, denn das alte Tor ist von innen mit einem Riegel verschlossen, und es muss erst ein Weg durch Mauerlöcher und Schutt hinein in den Burghof gefunden werden, der dann verlassen und verfallen, voller Geröll und Wildwuchs vor den Jugendlichen liegt. Doch die Schnitzereien an den alten Balken und die alten Mauernischen lassen viele Geschichten erahnen, der "Geheimtipp" spricht sich herum, und bald schon wird der Ludwigstein zu einem beliebten Ziel der Gruppen.
Die Idee, die Burg als Jugendburg zu erwerben und wieder aufzubauen, wird dem Wandervogel und Hannoveraner Studenten Enno Narten (1889-1973) 1908 auf einer geologischen Exkursion zur Burg Hanstein von seinem Professor Hans Stille nahe gebracht. Vielleicht auch, weil der Ludwigstein von der hohen Warte des Hanstein aus recht klein und die Aufbauarbeit überschaubar zu sein scheint, lässt ihn die Idee in der Folge nicht mehr los.
Deutschlandweit bekannt wird der Ludwigstein fünf Jahre später durch den Freideutschen Jugendtag, der 1913 auf dem Meißner stattfindet. Knapp 3.000 Jugendliche kommen dort zusammen, um "nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung und in innerer Wahrhaftigkeit" (so die von ihnen entworfene Meißnerformel) ihr Leben zu gestalten. Der Berg wird seither Hoher Meißner genannt und bleibt mit dem Ludwigstein aufs engste verknüpft. Enno Narten schreibt in einer späteren Erinnerung:
"Wir waren nach dem Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner 1913 noch einige Tage auf der Burg, heimlich, ohne Erlaubnis, hoch romantisch! Wir deuchten uns Herr der Burg. Wie waren wir doch so beneidenswert jung und unbekümmert damals! Die Welt wollten wir aus den Angeln heben, und unser deutsches Vaterland sollte von Grund auf umgekrempelt werden, Lebensreform, Politik der anständigen Gesinnung und Wahrhaftigkeit, das waren unsere Losungen in damaliger Zeit. Erfüllt von diesen Zielen und der unser harrenden Arbeit überraschte uns der Krieg. Wir zogen als Kriegsfreiwillige hinaus, so selbstverständlich, als sei es unser innerstes Gesetz."
Damit rücken die Pläne zunächst einmal in weite Ferne. Unter dem Eindruck der vielen gefallenen "Feldwandervögel" beschließt jedoch eine kleine Gruppe um Enno Narten bereits an Weihnachten 1914 in St. Quentin (Frankreich), alles daran zu setzen, den Ludwigstein nach dem Krieg als ein lebendiges Ehrenmal für ihre gefallenen Brüder zu erwerben und wieder aufzubauen. Enno Narten kehrt als einziger zurück, um diesen Willen in die Tat umzusetzen. In einem leidenschaftlichen Aufruf wendet er sich im März 1920 an die Gruppen:
"Meißnerjugend von 1913, es gilt eine Tat, und es gilt, sie rasch zu tun… Hier ist Gelegenheit der ganzen Welt zu zeigen, was Jugendkraft und Begeisterung vermag, wie Schaffensfreude und Sehnsucht nach einem Ziele alle kleinen Schranken niederreißt und Euch alle, jung und alt, aus allen Bünden vereint zum gemeinsamen Werk, zum Aufbau des Erinnerungsmales für unsere Gefallenen."
Und tatsächlich wird rasch gehandelt. Genug Geld zum Erwerb kommt zusammen, am 4. April 1920 gründen die Angehörigen der Bünde eine "Vereinigung zum Erwerb und zur Erhaltung der Burg Ludwigstein bei Witzenhausen an der Werra", und noch im selben Jahr stimmt der Staat - nunmehr Preußen - dem Verkauf der Burg mit der Auflage der Renovierung und der Öffnung für die Allgemeinheit zu.
Am 1.5.1920 tritt Hans Schneidewind sein Amt als erster Burgwart auf dem Ludwigstein an und bezieht im Turm Quartier. Und am 2.6.1922 wird die Burg vom preußischen Regierungspräsidenten im Beisein von 2.000 Gästen feierlich der Vereinigung übergeben. Walther Rathenau sagt im gleichen Jahr:
"Zu diesem Werk gehört viel Mut und Zähheit, Geduld und Vertrauen. Mut und Zähigkeit müssen die für den Ausbau des Ludwigsteins Verantwortlichen besitzen, Geduld und Vertrauen muss diesen von der gesamten Jugend entgegen gebracht werden. Die Vollendung des Ausbaues wird der Prüfstein für diese neue Jugend sein, auf die wir Alten unsere ganze Hoffnung für des Vaterlandes Zukunft setzten."