Seminarberichte

Netzwerktreffen, Fachfortbildungen, Gruppenschulungen

Fortbildung Prävention und Intervention
übernommen mit freundlicher Genehmigung von www.schwarzzeltvolk.de
 
Das Thema Sexualisierte Gewalt ist in letzter Zeit ein sehr präsentes, nicht nur in den Medien, sondern auch bei uns in der Jugendarbeit und damit auch in den Bünden. Mit einigen Fällen, die ans Licht kamen, entwickelte sich gleichzeitig eine immer größere Bereitschaft, aber auch die Notwendigkeit, sich mit den Themen Prävention und Intervention in den Bünden auseinanderzusetzen. Im Februar 2014 zeigte sich dies darin, dass das Seminar das erste Mal überbucht war. Trotzdem hat sich der AK Schatten dafür entschied, alle Interessierten aufzunehmen.

Im Alltag außerhalb dieses Seminars nehme ich jedoch häufig Skepsis und eine gewisse Angst vor dem Thema sowie vor einer befürchteten “Verdachtskultur” wahr. Ein guter Anlass also, hier beim Schwarzzeltvolk über das letzte Seminar zu berichten – in der Hoffnung, noch mehr Verantwortliche aus den Bünden zu motivieren, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich benutze in meinem Artikel zur besseren Lesbarkeit die männliche Form. Mir ist bewusst, dass es auch einen Anteil an Täterinnen gibt; dieser ist jedoch nach allem, was man bisher weiß, sehr gering. Im VCP Hamburg haben wir seit mehreren Jahren Präventionsseminare, ich wollte jedoch gerne einmal über den bündischen Tellerrand schauen und noch mehr über die jugendbewegte Geschichte in Bezug auf diese Problematik erfahren, da diese im VCP weniger eine Rolle spielt.

So fand ich mich am Freitagabend mit 25 anderen Teilnehmern in Martinfeld ein, um mich ein Wochenende lang auf dieses nicht einfache Thema einzulassen. In der Vorstellungsrunde wurde schnell klar, dass wir eine große Vielfalt an Bünden und Vorerfahrungen versammelt hatten und es ein spannender Austausch werden würde. Wir begannen mit dem Film “Leise Krieger”, in dem sich ein Betroffener mit den durch den Vater begangenen Übergriffen auseinandersetzt. Ein sehr gut gemachter und eindrücklicher, aber auch sehr bedrückender Kurzfilm. Hierzu haben wir – um etwas Abstand beim Schauen zu wahren – in Kleingruppen verschieden Aspekte zu Betroffenenperspektiven herausgearbeitet. Um auch das Schöne und das, was uns in den Bünden hält und uns ausmacht, nicht zu vergessen, gab es im Flur eine Pinnwand, an der alles gesammelt wurde, was wir am Bündischen schätzen. Eine sehr schöne Idee, wie ich finde. So gab es dann am Freitagabend zur Entspannung gleich noch eine kleine, spontane Singerunde, bevor ich voll neuer Eindrücke müde ins Bett fiel.

Am nächsten Tag gab es neben dem Austausch über Einschätzungen von Grenzen sowie Nähe und Distanz mithilfe einer Barometer-Übung auch eine ganze Menge Daten und Fakten zum Thema Missbrauch und den verschiedenen Begrifflichkeiten wie Pädophilie, Sexuelle Gewalt und Pädagogischer Eros (auch, wenn man den Begriff “MISSbrauch” aktuell nicht mehr benutzt, weil das Wort impliziert, es könnte auch einen richtigen GEbrauch von Kindern und Jugendlichen geben). Des Weiteren beschäftigten wir uns mit der Opferperspektive und den Folgen für die Betroffenen sowie Täterstrategien und Kategorien von Tätern.

Für mich am eindrücklichsten war die “Archivführung ohne Archiv”, da wir nicht im Archiv der Jugendbewegung auf der Burg Ludwigstein vor Ort sein konnten. Stattdessen hörten wir in verschiedenen Räumen in Martinfeld etwas über die jugendbewegte Geschichte und stiegen hierfür wortwörtlich in den Keller hinab. Wir begannen mit Hans Blüher und Gustav Wyneken, die den Begriff des pädagogischen Eros prägten und für die zur intensiven Beziehung zwischen dem Jungen und dem Gruppenführer auch der sexuelle Kontakt gehörte. Weiter ging es mit einigen anderen Gestalten der jugendbewegten Geschichte, über tusk – der sich als einer der wenigen eindeutig vom pädagogischen Eros distanzierte – bis hin zu den 1980er Jahren, in denen sich eine ganze Reihe Fotos leicht bekleideter Jungen in den eisbrecher-Heften fanden; diese Bilder findet man leider noch heute auf eindeutigen Internetseiten und Katalogen.

Gerade dieser Teil machte uns deutlich, dass neben der Gefährdung, die immer in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen besteht, weil Täter deren Nähe suchen, in der Jugendbewegung noch eine weitere Dimension hinzukommt und dass insbesondere einige häufig glorifizierte bündische Führerpersönlichkeiten problematisch waren. Hier bin ich als Pfadfinderin doch ganz froh, noch andere Wurzeln zu haben und hier emotional weniger beteiligt zu sein. Am Abend gab es dann zur Entspannung wieder eine spontane Singerunde und viele nette Gespräche bei dem einen oder anderen Getränk. Außerdem bestand die Möglichkeit zu vertraulichen Einzelgesprächen, die auch von einigen genutzt worden ist. Wer noch nicht genug hatte, konnte am Büchertisch stöbern und das Gehörte vertiefen oder in verschiedenen Arbeitshilfen blättern.

Sonntag ging es dann um Prävention und Intervention. Als kleine Übung versuchten wir in Kleingruppen den “optimalen Täterbund” zu gründen, also einen Bund, in dem sich Täter sicher und unbeobachtet fühlen würden. Danach gab es für jeden “Täterbund” Beratung hinsichtlich Präventionsmöglichkeiten und -empfehlungen, so dass eine Reihe von Maßnahmen erarbeitet wurde. Hier wurde deutlich, wie schmal der Grat zwischen dem ist, was unsere Traditionen ausmacht und dem, was für Täter attraktiv sein kann. Das Fazit: Man muss nicht alles über Bord werfen, aber es ist wichtig, Rituale und Traditionen zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern.

Für mich zeigte sich durch Gespräche mit unterschiedlichen, sehr skeptischen Personen aus dem bündischen Umfeld in den letzten Monaten, wie viel Verantwortung man als Multiplikator dieses Themas hat. Denn es ist absolut essentiell, dass man kein Klima von Angst erzeugt, in dem Sippenführer und Gruppenleiter ständig Sorge haben, sich verdächtig zu machen, sondern ihnen Werkzeuge an die Hand gibt, Kinder und Jugendliche zu schützen, zu stärken und dabei auf die eigenen Grenzen zu achten. Das hat meines Erachtens nichts mit Hysterie zu tun, sondern mit verantwortungsvollem Handeln. Die oberste Regel lautet: Ruhe bewahren. Halbwissen und die Sorge vor Anschuldigungen gegenüber der eigenen Person erzeugen hingegen bei den Verantwortlichen in den Bünden Argwohn und Angst vor dem Thema Prävention und das nützt niemandem, außer den Tätern. Für mich war es ein rundum gelungenes Wochenende. Vielen Dank dafür allen Referenten und diskussionsfreudigen Mitteilnehmern.
upsi, VCP Hamburg

Stiftung Jugendburg Ludwigstein