Audioguide Jugendburg Ludwigstein

1. Willkommen!

Der Audio-Guide „Jugendburg Ludwigstein“ enthält Informationen, Bilder und authentische Stimmen zur Burggeschichte von der Gründung durch den hessischen Landgrafen 1415 über die Einrichtung der Jugendburg 1920 bis heute. Mit der Hörführung lernen Sie die Burg, beginnend im Innenhof, an 28 Stationen kennen.

Die Burg Ludwigstein blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Dieser Audioguide nimmt Sie mit auf eine Reise durch die Zeiten – vom mittelalterlichen Leben bis hin zur Rolle der Burg als internationaler Treffpunkt und Zentrum historischer Forschung.


2. 1415 Eine neue Burg entsteht

Wie entstand die Burg Ludwigstein – und warum wissen wir ausgerechnet hier so genau, wann alles begann? Im Jahr 1415 wurde ein Bautrupp aus dem 60 km entfernten Homburg losgeschickt, um eine neue Burg für den Landgrafen zu errichten. Als Bauquittung diente eine Wagenladung Bier – ein ungewöhnliches, aber gut dokumentiertes Detail. Der Audioguide nimmt Sie mit in diese Zeit: Sie erfahren, wie der erste Kernbau aussah, welche Aufgaben die Burg hatte – von der Grenzsicherung bis zur Kapitalanlage – und wie aus den frühen Mauern das bis heute sichtbare Bauwerk entstand. Ein Blick zurück, der vieles erklärt.


3. Gestaltung im Zeichen der Weser-Renaissance

Was erzählen uns Balken, Dachkonstruktionen und Rosetten über die wechselvolle Geschichte der Burg? Dieser Abschnitt führt Sie in den Innenhof, wo einst marode Fachwerkwände und zerfallene Dächer standen. 1921 wurden sie erneuert – doch nicht alles verschwand: Originalbalken aus dem 16. Jahrhundert blieben erhalten, als Zeugnisse früherer Umbauten. Besonders auffällig sind die kunstvoll geschnitzten Rosetten, die noch heute die Geschosse des Wohntraktes zieren. Sie stammen aus der Zeit der Weserrenaissance, jener Stilrichtung, die mit ihren halbrunden Ornamenten Eleganz ins Fachwerk brachte. Doch ihre heutige Farbigkeit – Grün, Rot und Gold – erzählt eine ganz eigene Geschichte: Sie wurde nicht aus historischen Gründen gewählt, sondern als Zeichen einer Jugendbewegung, die hier ein neues Kapitel aufschlug. Hören Sie mehr über die Verbindung von mittelalterlicher Baukunst und der Erneuerung im Geist des Wandervogels.


4. Symbole einer neuen Zeit

Wie kam es, dass junge Menschen mit Gitarre, Kochtopf und Zelt eine mittelalterliche Burg wiederentdeckten – und ihr neues Leben einhauchten? Der Audioguide führt Sie zurück in die Anfänge der Wandervogel-Bewegung, deren Mitglieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Berlin hinaus in die Natur zogen – inspiriert vom Geist der Freiheit, wie ihn Hermann Hesse beschrieb. Ihr Symbol: der auffliegende Kranich, über der Freitreppe der Burg als Metallsilhouette zu sehen. Der Kranich wurde später zum weltbekannten Lufthansa-Logo – seine Wurzeln liegen hier. Lernen Sie die Geschichte hinter Farben, Formen und Idealen kennen: Grün, Rot und Gold – Zeichen einer Bewegung zwischen Naturverbundenheit, jugendlicher Sehnsucht und späterem Widerstand. Entdecken Sie, wie ein Symbol vom Fachwerk der Burg bis an den Himmel gelangte.


5. Von der Ruine zur Jugendburg

Wie wird aus einer Burgruine ein Symbol für Jugend, Erinnerung und Aufbruch? Dieser Abschnitt erzählt die Geschichte von Enno Narten, einem jungen Wandervogel, der 1908 vom gegenüberliegenden Hanstein aus die verlassene Burg Ludwigstein erblickt – und nicht mehr vergisst. Wenige Jahre später reift seine Idee, aus der Ruine eine Herberge für Gleichgesinnte zu machen. Der Erste Weltkrieg verzögert alles, doch Narten gibt nicht auf. Nach dem Krieg, inmitten wirtschaftlicher Not, startet er einen Aufruf: Die Burg soll zu einem Ort werden, der an die gefallenen Freunde erinnert, jungen Menschen Unterkunft bietet und ein Archiv für die Jugendbewegung beherbergt. Ein mutiger Plan – geboren aus Idealismus, durch Spenden getragen, und bis heute lebendig. Lauschen Sie den Anfängen einer Burg, die mehr ist als Stein und Geschichte: ein Ort gelebter Utopien.


6. Die Küche der Burg

Wo heute Gruppen gemeinsam essen, wurde einst für ganze Amtsfamilien und Gesinde gekocht – vom frühen Morgen bis spät in den Abend. Der mächtige Kamin im Speisesaal der Burg Ludwigstein stammt noch aus dem 15. Jahrhundert, als hier die Küche untergebracht war – außerhalb der Wohnräume, wie damals üblich, wegen Geruch und Feuergefahr. Gekocht wurde deftig, nicht selten mit Bier zum Frühstück. Heute ist dieser Ort ein Treffpunkt für Menschen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen: Schulklassen, Seminargruppen, Wandergesellen. Die Gitarre unter dem alten Rauchfang erinnert an lange Abende mit Liedern und Gesprächen. Lauschen Sie der Geschichte dieses Raumes – und entdecken Sie, wie hier zwischen Feuerstelle und Gemeinschaftstisch über Jahrhunderte hinweg Menschen zusammengekommen sind.


7. Vom Singen und Klampfen

Ein Abend am Lagerfeuer, eine Gitarre, Stimmen im Schein der Flammen – viele kennen dieses Bild, ob aus eigener Erfahrung oder aus Filmen. Die frühen Wandervögel machten das gemeinsame Singen abseits fester Chorstrukturen zum festen Bestandteil ihrer Wanderungen. Sie sammelten Lieder, dichteten um, schufen einstimmige, leicht mitsingbare Melodien – für die Gemeinschaft, nicht für die Bühne. 1909 erschien ihr Liederbuch „Der Zupfgeigenhansl“, ein Bestseller, der viele der heute bekannten Volkslieder populär machte. Drei davon hören Sie gleich in einer kleinen Collage – vielleicht wecken sie Erinnerungen, vielleicht entdecken Sie etwas Neues. Lauschen Sie dem Klang einer Jugendbewegung, die das Singen als Ausdruck von Freiheit und Zugehörigkeit verstand – und deren Melodien bis heute nachklingen.


8. Barbara von der Saale

Alte Möbel erzählen Geschichten – wenn man sie zu deuten weiß. Im Kaminzimmer der Burg Ludwigstein sind einige wenige originale Stücke erhalten geblieben: ein steinerner Kamin, ein mittelalterlicher Spiegel mit Fratzengesicht, Sinnbild für die Verachtung der Eitelkeit. Auch wenn das meiste Mobiliar über die Jahrhunderte verloren ging, kennen wir dank überlieferter Quellen eine Bewohnerin besonders gut: Barbara von der Saale. Durch einen Liebesskandal am Hof des Landgrafen Philipp gelangte sie mit ihrem Mann auf die Burg – und bewies sich schnell als durchsetzungsstarke Hausherrin. Während Christoph Hülsing an Philipps Seite in den Krieg zog, führte sie die Amtsgeschäfte alleine – tatkräftig, klug und selbstständig. Hören Sie mehr über diese bemerkenswerte Frau, deren Spuren bis heute im Burgzimmer sichtbar sind – und die zeigt, wie viel Einfluss eine Burgherrin im 16. Jahrhundert haben konnte.


9. Erinnerungsort einer Bewegung

Die Burg Ludwigstein wurde in den 1920er Jahren nicht nur zur Herberge für jugendbewegte Gruppen, sondern auch zu einem Ort des Erinnerns. In der schlichten Steinkammer entstand ein Gedenkraum für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Wandervögel – junge Männer, die mit Idealen wie Freundschaft und Freiheit in den Krieg zogen und oft nicht zurückkehrten. 7.000 von über 10.000 Wandervogel-Soldaten fielen – darunter fast die gesamte Führungsriege. Das Glasfenster mit dem gesenkten Schwert im Kreuz erinnert an eine Kapelle, die Fotografie zweier junger Männer aus dem Jahr 1917 führt uns die Nähe von Jugendbewegung und Krieg vor Augen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Raum erweitert: um das Gedenken an dessen Opfer – und an alle, die durch Gewalt zu Tode kamen. Lauschen Sie der Geschichte eines Raumes, der bis heute mahnt, erinnert und zum Innehalten einlädt.


10. „Fliegt der bunte Wimpel ...“

Ein Wimpel voran – und los ging die Wanderung. Schon die frühen Wandervögel zogen mit bestickten Fahnen los, die ihre Gruppenzugehörigkeit und ihre Ideale sichtbar machten. Der fliegende Kranich war oft dabei, doch Farben, Muster und Symbole unterschieden sich. Im Gedenkraum der Burg sind einige dieser Fahnen zu sehen – keine Originale, sondern liebevoll gearbeitete Repliken, genäht von jungen Mädchenwandervögeln im Jahr 2007. Jede von ihnen erzählt ihre eigene Geschichte: von Aufbruch und Gemeinschaft, aber auch von schwierigen Zeiten. So wurde eine grüne Fahne selbst in der NS-Zeit weiter gehisst, obwohl ihre Symbolik nicht mehr willkommen war. Andere, wie die Fahne der Celler Jungenschaft mit dem weißen Falken und den drei Wellen, stehen für den Neuanfang nach 1945. Heute werden auf dem Ludwigstein noch immer Wimpel und Fahnen abgegeben – als Zeichen der Verbundenheit. Über 350 Stück umfasst das Archiv inzwischen. Der Audioguide gibt Einblicke in ihre Bedeutung und ihre Geschichten.


11. Industrialisierter Krieg und Naturpoesie

Warum zogen so viele junge Wandervögel begeistert in den Ersten Weltkrieg? Aus heutiger Sicht ist ihre Haltung schwer nachvollziehbar – doch damals verbanden sich Naturromantik, jugendbewegtes Pathos und nationalistische Gedanken zu einem gefährlichen Idealismus. Über 12.000 Wandervögel meldeten sich freiwillig – viele kaum älter als 16 Jahre. Der Schriftsteller Walter Flex, selbst ein Kriegsfreiwilliger, beschrieb das Geschehen in pathetischer Sprache, weit entfernt von der Realität des Massensterbens an der Front. In einem seiner Texte vergleicht er seinen Kameraden mit einem Pilger, mit Zarathustra oder Goethes Wandrer – Worte voller Sehnsucht, die heute befremden mögen, aber den Geist jener Zeit spiegeln. Flex fiel 1917 mit nur 30 Jahren. In der Ausstellung erinnert ein Gedicht von ihm an die Feldwandervögel beider Weltkriege. Der Audioguide lädt ein, sich mit diesem schwierigen Erbe auseinanderzusetzen – und der jungen Leben zu gedenken, die in idealistischem Glauben geopfert wurden.


12. Peter Kollwitz

Zwei junge Männer, verewigt auf einem alten Foto – der eine mit Wanderstock, der andere in Uniform. Ihre Namen kennen wir nicht, doch sie stehen für viele: eine ganze Generation von Wandervögeln, die mit großen Idealen in den Ersten Weltkrieg zog. Auch Peter Kollwitz, Sohn der Künstlerin Käthe Kollwitz, war einer von ihnen. Begeistert vom Geist der Jugendbewegung, meldete er sich mit 17 freiwillig – und fiel nur zehn Tage nach seinem Abschied. Seine Mutter, geprägt vom Verlust, wurde später zur überzeugten Kriegsgegnerin. In Briefen aus dem Frontalltag, wie jenen von Erich Krems, zeigt sich die bittere Ernüchterung der jungen Soldaten – der Glaube an Sinn und Ehre weicht dem Wunsch nach Frieden. Und doch blieb das Pflichtbewusstsein stark. Der Audioguide erzählt von Hoffnung und Tragik, von der Freundschaft zwischen jungen Männern – und dem Schmerz, der blieb. Ein Kapitel, das berührt – und zum Innehalten anregt.


13. Jugend im Nationalsozialismus

Nach dem Ersten Weltkrieg suchten viele Jugendbünde in der Weimarer Republik nach neuer Orientierung. Sie verstanden sich als unpolitisch – „innere Freiheit“ war ihr Leitmotiv. Doch inmitten der politischen Spannungen der Zeit gerieten auch sie in den Strudel von Nationalismus, Ideologie und Extremismus. Einige solidarisierten sich mit kaisertreuen Kreisen, andere traten Freikorps bei. Völkisches Denken und Antisemitismus breiteten sich aus. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete jede Freiheit: Am 15. April 1933 unterstellten sich die Jugendbünde im Großdeutschen Bund dem Regime – und wurden gleichgeschaltet. Auf der Burg Ludwigstein wurde zu Ostern desselben Jahres die Hakenkreuzfahne gehisst, die eigene Bundesfahne nur noch darunter gezeigt. Der Audioguide beleuchtet, wie die Ideale der Jugendbewegung im „Sturm der Zeit“ untergingen – und warum sich nur wenige dem System entziehen konnten. Ein Kapitel, das von Anpassung erzählt – und vom Verlust der Freiheit.


14. Notjahre - Vaterland - Trutzburg?

„Notjahre“, „Tod für das Vaterland“, „Trutzburg“ – Begriffe, die an der Burg Ludwigstein in roten Sandstein gemeißelt wurden und auf den ersten Blick irritieren. Passen solche Worte zu den Idealen der Wandervögel – zu Freiheit, Natur und Gemeinschaft? Tatsächlich wurde die Burg bereits 1933 von der Hitlerjugend übernommen. Eine Gebietsführerschule zog ein, der Gedenkraum wurde unter NS-Regie eingeweiht. Die einst unabhängige „Vereinigung Jugendburg Ludwigstein“ musste sich auflösen, 1939 ging die Burg ganz in nationalsozialistische Hände über. Inmitten dieser Umbrüche versuchten einige der früheren Ludwigsteiner, an ihre Tradition zu erinnern – mit einer Gedenktafel, die 1941 angebracht wurde. Doch sie griffen dabei auf die Sprache des Regimes zurück – eine Sprache, die heute befremdet. Der Audioguide beleuchtet diesen schwierigen Versuch, Erinnerung zu bewahren – und wirft einen kritischen Blick auf die Frage, wie Sprache und Sinn sich in dunklen Zeiten verschieben können.


15. Amtssitz und Domäne

Keine edlen Ritter, keine Burgfräuleins – auf dem Ludwigstein herrschte von Beginn an ein anderer Alltag. Die Burg diente nicht dem höfischen Glanz, sondern war ein wirtschaftlich genutzter Verwaltungsstandort – und ein machtvolles Zeichen: sichtbar für die Nachbarn, markierte sie das Gebiet des jungen Landgrafen Ludwig I. Bereits 1416, weniger als ein Jahr nach Baubeginn, zogen die ersten Bewohner ein. Die Burg lag in einer spannungsgeladenen Grenzregion zwischen Hessen, dem Erzstift Mainz und dem Herzogtum Braunschweig. Konflikte schwelen über Jahrhunderte hinweg, doch militärische Auseinandersetzungen bleiben aus. So wird der Ludwigstein zur friedlichen Grenzfeste – mit strategischer Bedeutung. Wer heute aus dem Fenster neben dem mittelalterlichen Aborterker blickt, sieht eine friedliche Hügellandschaft. Damals war es ein Ort politischer Reibung – heute ein Platz zum Innehalten. Der Audioguide erzählt von Verteidigung, Macht und Wandel – und einem Stück Landesgeschichte am Rande dreier Mächte.


16. Johann Adam Schönewald

„Der Ostwind hält noch immer an...“ – leise, fast poetisch klingen die Worte von Johann Adam Schönewald, dem Burgpächter des Ludwigsteins Anfang des 19. Jahrhunderts. In seinem Diensttagebuch hielt er nicht nur Verwaltungsabläufe fest, sondern vor allem eines: das tägliche Wetter. Temperaturen, Windrichtungen, Frost und Hochwasser – Tag für Tag über Jahre hinweg. Warum ihn das so sehr interessierte? Vielleicht, weil er als Landwirt um die Abhängigkeit der Ernte von Wind und Regen wusste. Vielleicht aber auch aus wissenschaftlicher Neugier. Als 1808 die Werra über die Ufer trat, konnte er seine Aufzeichnungen nutzen, um eine Pachtminderung zu rechtfertigen. Der Audioguide lässt Sie in die Welt eines stillen Beobachters eintauchen, dessen Worte bis heute über das Leben, das Klima – und die Sorgen jener Zeit berichten. Eine besondere Stimme aus dem Alltag auf der Burg.


17. Zweiburgenblick und Eiserner Vorhang

Die Geschichte der Burg Ludwigstein ist auch eine Geschichte des Wandels – vom Sitz adeliger Amtsträger bis hin zur verlassenen Ruine im 19. Jahrhundert. Über Jahrhunderte war sie Verwaltungszentrum, erst unter Adligen wie Christian von Hanstein, später in Pacht vergeben. Mit der Verlagerung der Ämter verlor die Burg an Bedeutung, 1882 verließen die letzten Bewohner den Ort – und es begann ein Dornröschenschlaf, der erst endete, als die Wandervögel sie wiederentdeckten. Doch auch im 20. Jahrhundert blieb ihre Lage brisant: Nach dem Zweiten Weltkrieg markierte sie die neue Grenze zwischen West und Ost. Der „Eiserne Vorhang“ verlief in Sichtweite – und mit ihm verlor der Ludwigstein sein regionales Hinterland. Dennoch wurde die Burg zum Ort des Wiederaufbaus: als Jugendburg, Archiv und Treffpunkt der bündischen Jugend in der jungen Bundesrepublik. Der Audioguide erzählt von Grenzverschiebungen, Aufbrüchen und einem Ort, der immer wieder neu definiert wurde.


18. Blecker und Zanner

Wer genau hinschaut, entdeckt an der Außenmauer der Burg nicht nur steinerne Quader – sondern auch ein Gesicht mit weit aufgerissenem Mund: „Der Rufer“ nennt sich die Figur im Volksmund, angeblich ein Mutmacher für vorbeiziehende Händler. Doch wer kann schon rufen, wenn beide Hände im Mund stecken? Wahrscheinlicher ist: Der Steinmetz hatte Humor – und ließ sich einen kleinen Spaß im Mauerwerk einfallen. Solche Grimassenfiguren, sogenannte „Blecker“, tauchen häufiger an spätmittelalterlichen Gebäuden auf. Oft treten sie im Doppelpack auf – mit einem „Zanner“, der seine Zunge herausstreckt. Auch auf dem Ludwigstein findet sich dieses schelmische Duo. Der Audioguide lädt Sie ein, diesen steinernen Spuren nachzugehen – und den stillen Witz der Baumeister zu entdecken, die ihre Kunstfertigkeit mit einem Augenzwinkern in die Zukunft meißelten.


19. Mädchen im Wandervogel

Abenteuerlust und frische Luft – das war es, was die Jugend in der Wandervogel-Bewegung suchte. Jungen durften wandern, zelten und draußen übernachten – ganz zur Freude vieler Eltern, die in der Bewegung eine gesunde Freizeitgestaltung sahen. Für Mädchen war der Zugang zunächst eingeschränkt: keine langen Wanderungen, keine Nächte im Freien. Und doch bedeutete schon das Wenige für viele eine ungeahnte Freiheit. In einem eindrucksvollen Zeitzeugenbericht erinnert sich ein Wandervogel-Mädchen an versteckte Lieblingsorte im Wald, ans Singen, Zeichnen und Rutschen über das Dach eines verlassenen Jägerhauses. An Schlamm, Regen – und das Gefühl von Abenteuer. Der Audioguide erzählt von den Anfängen weiblicher Teilhabe, von Regeln, die durchbrochen wurden, und Erlebnissen, die im Gedächtnis blieben. Eine Geschichte jugendlicher Selbstermächtigung – zwischen Waldbach, Kranzbinden und ersten Freiheitsmomenten.


20. Bewahren und Forschen

Als 1922 die ersten Mittel für die Renovierung der Burg Ludwigstein zusammenkamen, war das Ziel klar: Nicht nur eine Herberge für Jugendgruppen sollte entstehen, sondern auch ein Archiv – ein Ort, an dem die Geschichte der deutschen Jugendbewegung gesammelt, bewahrt und zugänglich gemacht werden konnte. Was mit einem abschließbaren Schrank begann, wuchs über Jahrzehnte zu einer einzigartigen Sammlung heran: Akten, Nachlässe, Fotoalben, Fahrtenbücher, Zeitschriften, Fahnen, Gitarren – Zeugnisse eines bewegten Jahrhunderts. Seit 1963 ist das Archiv im Meißnerbau untergebracht, seit 2004 Teil des Hessischen Staatsarchivs Marburg. Heute zählt es zu den national wertvollen Archiven Deutschlands. Im Lesesaal können Forschende, Interessierte und ehemalige Wandervögel gleichermaßen in die Geschichte eintauchen – von Jugendbewegung über Lebensreform bis hin zu Tourismus, Pädagogik und Kultur. Der Audioguide lädt Sie ein, einen Ort kennenzulernen, der Erinnerungen nicht nur bewahrt – sondern lebendig hält.


21. Der Enno-Narten-Bau

Eine Jugendburg lebt – nicht nur durch ihre Geschichte, sondern durch das, was sie heute ist. 1983 wurde aus der Stiftung Jugendburg Ludwigstein eine eigene Jugendbildungsstätte gegründet. Seitdem bietet sie Workshops, Fortbildungen, Schulklassenprogramme und Integrationscamps an. Doch die Burg wurde irgendwann zu klein – ein Neubau musste her. Nachhaltigkeit war von Anfang an das Leitmotiv, und so entstand hier etwas Besonderes: Das größte Strohballenhaus Deutschlands. Beim Richtfest 2010 war der Rohbau noch Symbol, zwei Jahre später wurde der moderne Bildungskomplex bezogen. Möglich wurde das nicht zuletzt durch über 40.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit, geleistet von Wandervögeln und Pfadfinder*innen. Benannt ist das Haus nach Enno Narten – jenem Wandervogel, der die Burg einst wiederentdeckte. Der Audioguide erzählt von diesem außergewöhnlichen Bauprojekt und zeigt, wie aus Tradition Zukunft entsteht – mit Herz, Verstand und viel gemeinschaftlichem Engagement.


22. Die Meißnerformel

Der Meißnerbau auf der Nordwestseite der Burg – heute Konzert- und Vortragssaal – trägt seinen Namen nicht zufällig. Er erinnert an ein zentrales Ereignis der Jugendbewegung: das erste Treffen der Freideutschen Jugend auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913. Während das wilhelminische Deutschland pompös den Sieg über Napoleon feierte, versammelten sich dort Jugendliche aus 14 Verbänden – Wandervögel, Lebensreformer, Reformschüler – um ein anderes Zeichen zu setzen. Sie suchten einen Gegenentwurf zum Nationalismus ihrer Zeit. In der Luft lag bereits der kommende Krieg, doch im Zentrum ihres Treffens stand ein Ideal: das eigene Leben selbstverantwortlich und wahrhaftig zu gestalten. Diese Haltung fasst die sogenannte Meißnerformel zusammen: „Die Freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten.“ Der Audioguide führt Sie an den Ort, an dem dieses Vermächtnis in Bronze gegossen an der Tür erinnert – und bis heute nachwirkt.


23. Das „Lichtgebet“ und mehr

Archive sind stille Schatzkammern – gefüllt mit Papier, Geschichte und Fragen an das Leben. Das Archiv auf der Burg Ludwigstein umfasst heute rund 30.000 Bücher, 1.000 Regalmeter Akten, unzählige Fotos, Filme, Tonträger und grafische Werke. Eine Besonderheit: die frühen Originaldokumente der ersten Wandervogelbünde. Hier forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch Besucherinnen und Besucher entdecken Spuren der Vergangenheit – und Fragen, die auch heute brennen: Wie wollen wir leben? Was bedeutet Nachhaltigkeit? Welche Rolle spielen Grenzen? Wer die kleine Schausammlung besucht, begegnet nicht nur Büchern, sondern auch Gitarren, Abzeichen, Fahnen und alten Kochtöpfen. Und einem Gemälde, das zum Symbol einer ganzen Bewegung wurde: dem „Lichtgebet“ von Fidus – ein Jugendlicher, der sich dem Sonnenaufgang entgegenstreckt, Ausdruck der Hoffnung auf Erneuerung. Der Audioguide nimmt Sie mit in dieses einzigartige Archiv – an einen Ort, der bewahrt, bewegt und zum Denken anregt.


24. Wandervogel, Pfadfinder …

Wandervögel und Pfadfinder – beide zog es hinaus in die Natur, beide wollten mit Gleichaltrigen unterwegs sein. Und doch trennte sie von Beginn an mehr als nur Herkunft. Die Pfadfinder gehen auf den britischen Offizier Robert Baden-Powell zurück, der in Südafrika junge Späher ausbildete. Sein „Scouting for Boys“ wurde zur Grundlage einer weltweit verbreiteten Bewegung – auch in Deutschland. Disziplin, Lagertechnik und die „gute Tat“ standen im Mittelpunkt. Die Wandervögel hingegen strebten nach Freiheit, Selbstbestimmung und kulturellem Aufbruch – aus der Jugend selbst heraus. Trotz dieser Unterschiede kamen sich beide Gruppen näher: 1911 entstand der Deutsche Pfadfinderbund, in den 1920er Jahren schließlich entwickelte sich aus der Begegnung beider Strömungen die „Bündische Jugend“. Der Audioguide erzählt von diesem Wandel – von Idealismus und Ordnung, vom Wunsch nach Zugehörigkeit und der Kraft jugendlicher Bewegung. Ein Stück Geschichte zwischen Lagerfeuerromantik und gesellschaftlichem Aufbruch.


25. Stockbetten für Burghelfer

Treten Sie ein – vielleicht sind Sie ja schon mittendrin. Die Torklause war im Mittelalter Eselstall, dahinter befand sich der Pferdestall. Heute ist sie ein einladender Raum mit Sitznischen, kleinen Ausstellungen und einem Hauch Geschichte an jeder Wand. In den 1920er Jahren, als die Burg zur Jugendburg wurde, entstand hier ein Treffpunkt: für ankommende Gruppen, für Gespräche, für kleine Märkte mit Schriften und kunsthandwerklichen Objekten aus der Bewegung. In Glasvitrinen erzählen Briefe, Bilder und Erinnerungsstücke von der Begeisterung derer, die den Ludwigstein mit Leben erfüllten. Und auch das große Doppelstockbett – 2007 eingebaut – ist mehr als nur ein Ort zum Schlafen: Bis zu 14 Gäste finden hier Platz, etwa Burghelfer*innen, bündische Jugendliche oder Besucher, die günstig übernachten wollen. Der Audioguide führt Sie an einen Ort, der einst funktional war – und heute zum Symbol der Willkommenskultur auf der Jugendburg geworden ist.


26. „Wir stehen so frei hier oben …“

Hier endet unser Rundgang durch die Jugendburg Ludwigstein – zumindest auf dem Burgplateau. Unten am Fuß der Anlage gibt es noch zwei Orte des Gedenkens: den Kriegsopferfriedhof, der vielen schon beim Ankommen auffällt, und – etwas versteckt – die Paasche-Linde. Sie erinnert an Hans Paasche, einen pazifistischen Seeoffizier, der 1920 von Freischärlern ermordet wurde. Beide Orte laden ein, den Gedanken weiter nachzuspüren, die dieser Ort in sich trägt: von Krieg und Frieden, von Aufbruch und Erinnerung. Zum Abschied hier oben erklingt ein Lied – eine Hymne auf den Ludwigstein. Verfasst wurde es 1980 vom damals über 90-jährigen Manfred Hausmann anlässlich des Jubiläums der Vereinigung Jugendburg Ludwigstein. Seitdem gehört es zum festen Bestandteil bündischer Treffen. Sie hören eine Vertonung von Jürgen „Mayer“ Sesselmann – ein musikalischer Gruß, der bleibt, wenn die Schritte schon weiterziehen.



27. Erinnerung an einen Pazifisten

Marineoffizier und Pazifist – Hans Paasche war beides. Im wilhelminischen Kaiserreich ein Widerspruch, der tödlich endete. 1920 wurde er als unbequemer Querdenker von Reichswehrsoldaten auf seinem Gut Waldfrieden erschossen. Paasche, Jahrgang 1881, hatte als Offizier in Deutsch-Ostafrika erlebt, was koloniale Gewalt anrichtet – und sich stattdessen dem Leben, dem Frieden und der Reform verschrieben. Er schrieb gegen Fortschrittsgläubigkeit, für Naturschutz, für die Rechte der Frauen. Unterhalb der Burg Ludwigstein wurde ein Baum zu seinem Gedenkort – die Paasche-Linde. 2007 pflanzten polnische Schüler dort eine neue Linde, nachdem die ursprüngliche im Sturm gefallen war. Wer hier verweilt, begegnet nicht nur einem Namen, sondern einer Haltung. Der Audioguide stellt die Fragen, die auch Paasche bewegten: Lebt ihr aufrichtig? Seid ihr mutig? Habt ihr Respekt? Und – was tut ihr, um die Welt für kommende Generationen zu bewahren?


28. Totengedenken nach dem Zweiten Weltkrieg

Nur wenige Schritte unterhalb der Burg liegt ein Ort der stillen Erinnerung: der Kriegsopferfriedhof Ludwigstein. Seit 1961 sind hier 294 Menschen bestattet – Soldaten wie Zivilisten, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Opfer der Gestapo. Menschen aus vielen Ländern Europas, viele von ihnen Frauen. Die Entscheidung, Täter und Opfer auf einem Friedhof zu vereinen, ist bis heute nicht unumstritten – doch sie spiegelt den Versuch, Geschichte in all ihrer Komplexität zu begreifen. Der Friedhof erinnert nicht nur an die Toten, sondern auch an die deutsche Teilung. Zwei halbrunde Stelen am Eingangstor symbolisieren die durch Krieg und Ideologie zerrissene Nation. Die Anlage steht stellvertretend für Gräber, die in der DDR und in den ehemals deutschen Ostgebieten lange unerreichbar waren. Der Audioguide lädt ein, diesen Ort als Mahnmal zu verstehen – für Erinnerung, für Verständigung und für die Verantwortung, die auch kommende Generationen tragen.