Zur Geschichte des Archivs

Gegründet 1922  – das Archiv der deutschen Jugendbewegung

Gründung als "Reichsarchiv der deutschen Jugendbewegung" in der Jugendburg Ludwigstein
1922 ist das Archiv der deutschen Jugendbewegung mit einem Aufruf an die Bünde der Jugendbewegung gegründet worden. Darin heißt es: „Die deutsche Jugendbewegung als machtvoller Kulturträger hat ein Recht darauf, ein solches Archiv zu besitzen und hat kommenden Geschlechtern gegenüber aber auch die Pflicht, ein solches Archiv anzulegen und laufend zu ergänzen". Seitdem hat sich das Archiv – in der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts – zu einem einzigartigen Forschungs- und Dokumentationszentrum entwickelt.

So wie bei der Gründung der Jugendburg selbst repräsentierten auch bei der Archivgründung die Paten das weltanschaulich-politische Spektrum der bürgerlichen Jugendbünde in der Weimarer Republik. Der Gründungsaufruf, der 1922 in einer dem Ludwigstein gewidmeten Sondernummer der Zeitschrift „Zwiespruch“ abgedruckt war, wurde von Vertretern folgender Verbände unterschrieben: Vereinigung Jugendburg, Wandervogel e. V., Verlag Junge Menschen, Kronacher Bund, Bund Deutscher Wanderer und Deutsches Jugendherbergswerk. Trotz des gemeinsamen Gründungsortes und -hintergrundes wurden Burg und Archiv nicht als „ein Werk“ angesehen, sondern sollten „wirtschaftlich völlig getrennt und unabhängig voneinander“ bestehen, wenn auch der Vorsitzende der Vereinigung, also Enno Narten, und der jeweilige Burgwart die Sammlung zunächst ehrenamtlich mitverwalteten. Angestrebt wurde eine umfassende Sammlung „von und über die Jugend“, die „der Allgemeinheit zugänglich“ gemacht werden sollte. Eine Wirkungsabsicht in die Öffentlichkeit hinein, wirtschaftliche Eigenständigkeit, Vernetzung mit den Jugendbünden und Neutralität ihnen gegenüber, Nutzung zu wissenschaftlichen Fragestellungen – das waren die weitsichtigen Grundlagen des Archivs, die 1922 gelegt und in den anschließenden elf Jahren in der Burg Ludwigstein umgesetzt wurden.

Verlust in der NS-Zeit
Was mit der Sammlung im Nationalsozialismus geschah, ließ sich nach 1945 nicht mehr vollständig aufklären. Die 1933 von der Hitlerjugend besetzte Burg, das Symbol der unabhängigen Jugendbewegung schlechthin, wurde zum jahrelangen Streitfall um Gleichschaltung und Beschlagnahme. Schließlich wurde die Sammlung 1941 beschlagnahmt und über das Landratsamt in Witzenhausen nach Berlin in das 1939 gegründete „Reichsinstitut für nationalsozialistische Jugendarbeit, Archiv- und Forschungswesen“ überführt.

In diesem Institut wurde eine Reihe vorher unabhängiger Einrichtungen zusammengezogen; zuletzt hatte es als „Deutsche Archiv für Jugendwohlfahrt“ im Innenministerium unter der Leitung der Referentin Gertrud Bäumer, der bekannten Frauenrechtlerin, firmiert. Die Ludwigsteiner Sammlung wurde von der dortigen Archivarin Erna Franke aufgenommen, die das Institutsarchiv unter verschiedenen Trägerschaften seit 1907 mit aufgebaut hatte. Nachweisbar ist, dass einige der nach Berlin verbrachten Zeitschriften an die Pädagogische Zentralbibliothek abgegeben worden sind, die nach 1945 in Berlin-Ost lag. Von dort gelangten diese Zeitschriftenhefte 1959 auf den Ludwigstein zurück. Zum Schutz vor dem Bombenkrieg sei der Gesamtbestand nach Lichtenstein in Sachsen geschickt und dort beim Einmarsch der Amerikaner 1945, als das Akten-Lager für Flüchtlinge gebraucht wurde, zerstreut worden, schrieb Erna Franke. Weitere Nachforschungen in der Nachkriegszeit, die von der Burg aus über mehrere Jahrzehnte intensiv betrieben wurden, waren vergebens.

Neueinrichtung nach 1945
Die Burg wurde Ende 1946 von der amerikanischen Besatzung wieder frei gegeben, zunächst unter Treuhand des Landesjugendpflegers Herzfeld. Zeitgleich begannen die Aufrufe, für das Archiv zu spenden. Tatsächlich sind schon im laufenden Jahr viele eingehende Sendungen für das Archiv registriert worden, von Sachspenden über Bibliotheks- und Archivgut bis zum Angebot ehrenamtlicher Mitarbeit. Für Juli 1947 ist eine erste Archivnutzung belegt; zwei neue Archivbetreuer traten auf den Plan: Trude Rist, geb. Schneehagen, seit 1948 verh. Döring, die zwischen 1947 und 1953 die Geschäftsstelle der Vereinigung Jugendburg Ludwigstein führte, und Werner Döring, Bibliothekar aus Potsdam. Bis 1953 warben sie Nachlässe ein, ordneten und registrierten die Eingänge, berichteten regelmäßig über Archivarbeitswochen und unterstützten Benutzer. Studenten wurden im Rahmen von Praktika und Werkverträgen beschäftigt.

Bereits in diesem Zeitraum wird die herausragende wissenschaftliche Vernetzung des kleinen Archivs deutlich: Verbindungen bestanden insbesondere zur Universitätsbibliothek Münster, zum Pädagogischen Institut der Universität Mainz und zur Pädagogischen Hochschule in Göttingen. 1952 wurde erstmals formuliert, was die künftige Aufgabe des AdJb sein sollte, und zwar in dreierlei Hinsicht: aus Sicht der studierenden Jugend, aus Sicht der freien Jugendbünde und aus Sicht der Vereinigung Jugendburg Ludwigstein. Die Formulierung lautete, dass es die Aufgabe des AdJb sei, „das literarische Vermächtnis des Wandervogels und der gesamten Jugendbewegung zu sammeln, zu ordnen und der wissenschaftlichen Benutzung und Auswertung zugänglich zu machen sowie wissenschaftliche Archivbenutzer zu beraten und ihre Arbeiten zu fördern“ .

In der Konsequenz wurde dann 1953 nicht nur ein wiederum ehrenamtlicher Archivar, Hans Wolf, berufen, sondern auch ein wissenschaftlicher Archivbeirat eingesetzt, dessen Mitglieder zunächst die Historiker Prof. Dr. Günther Franz (Erlangen) und Prof. Dr. Karl August Eckhardt (Witzenhausen) sowie Hans Werner Baumann waren. Der Buchbestand lag in diesem Jahr bei 200 Titeln, während des gegen Ende von Wolfs Tätigkeit 1973 dann 7.000 Bücher und 2.100 Zeitschriftentitel waren. Unter dem Archivar Wolf begann im Zusammenwirken mit dem Archivbeirat, dessen Vorsitz Prof. Franz übernommen hatte, die Einwerbung öffentlicher Förderung, in Form von Stipendien z. B. durch die Fritz-Thyssen-Stiftung, Spenden, etwa der Alfred-Töpfer-Stiftung, aber auch Zuwendungen des Bundesarchivs.

Die problematische Entwicklung des Archivs und seines Beirats in dieser Zeit zu einer Art "Erinnerungskartell", das hinsichtlich der NS-Belastungen der verantwortlichen Personen "gezielte Vergesslichkeiten" pflegte (und auch umfassende Ehrungen für den wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Pädagogen Gustav Wyneken unternahm), ist inzwischen Gegenstand eigener Untersuchungen geworden (vgl. z. B. Jahrbuch des Archivs 2018).

Ausbau zu einem wissenschaftlichen Archiv
Das erste „Archivjahrbuch“ erschien 1969; 1970 wurde die Anerkennung als national wertvolles, und damit unveräußerliches, Archiv beantragt. Ein Förderer- und Freundeskreis wurde gegründet. Und schließlich kam das Großprojekt einer „Dokumentation der Jugendbewegung“, das schließlich dem Hamburger Journalisten Werner Kindt anvertraut wurde, in Gang.

Vor diesem Hintergrund waren die Linien für die Zeit nach Hans Wolf vorgezeichnet. Eingestellt wurde nunmehr hauptamtlich Dr. Winfried Mogge, Historiker und Journalist, dessen Engagement sich auf räumliche Ausbauten, die Verstetigung der Fördermittel, die Einwerbung neuer Bestände und auf die wissenschaftliche Auswertung der Sammlungen richtete. Der wissenschaftliche Beirat erneuerte sich personell. Insbesondere die Archivtagungen erreichten mit der Behandlung kontroverser Themen, etwa dem Übergang von der Bündischen Jugend zur Hitlerjugend, ganz neue Zielgruppen. Bei der Erschließung der Bestände, insbesondere der Nachlässe, wurden fachliche Standards erreicht, sodass umfassende Förderungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworben werden konnte. In einer neuen Editionsreihe wurden Forschungsergebnisse vorgelegt.

Neuanfang 2003
Eine Zäsur gab es im Jahr 2001, als alle Arbeitsbereiche neu ausgerichtet werden mussten. In einem Vertrag zwischen dem Land Hessen und der "Stiftung Jugendburg Ludwigstein und Archiv der deutschen Jugendbewegung" wurde das Archiv neu konstitutiert.

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